Gabriela de Carvalho, Johanna Fischer
Gabriela de Carvalho, Johanna Fischer
Johanna Fischer und Gabriela de Carvalho erläutern im Interview, wie die Länderberichte entstehen und welchen Mehrwert sie gegenüber anderen Quellen bieten.

Vor einigen Tagen ist die zwanzigste Ausgabe der CRC 1342 Social Policy Country Briefs erschienen. Könnt ihr aus diesem Anlass noch einmal kurz erklären, worum es in dieser Serie geht?

Johanna Fischer: Die Reihe besteht aus Kurzberichten, die sich jeweils auf einen bestimmten sozialpolitischen Bereich in einem einzelnen Land konzentrieren. So wurden beispielsweise die letzten beiden Berichte über das Gesundheitssystem in Bulgarien (Nr. 19) und das Langzeitpflegesystem in Schweden (Nr. 20) veröffentlicht. Im Einklang mit dem aktuellen Schwerpunkt des SFB - der Entstehung der Sozialpolitik - konzentrieren sich die Länderberichte auf die Einführung von Sozialschutzmaßnahmen und -systemen und deren weitere Entwicklung bis heute. Ziel der Reihe ist es, Länder- und Politikexpert*innen die Möglichkeit zu geben, ihr Wissen in einem halbstrukturierten Format zu teilen, die Informationen über die Open-Access-Publikationen zu verbreiten und wenig erforschte Fälle zu beleuchten, insbesondere solche, die außerhalb von Volkswirtschaften mit hohem Einkommen liegen.

Wie ist es zu dieser Serie gekommen?

Gabriela de Carvalho: Im Rahmen unseres Teilprojekts A04 zu den globalen Entwicklungen in den Gesundheitssystemen und der Langzeitpflege als neues soziales Risiko (sowie des SFB insgesamt) sammeln wir eine Vielzahl von Daten, z. B. zu den Einführungszeitpunkten von Gesundheits- und Langzeitpflegesystemen, ihren Merkmalen und den nachfolgenden Reformen. Daraus ergeben sich zahlreiche Indikatoren, die im Globalen Wohlfahrtsstaat-Informationssystem (WeSIS) des CRC gespeichert sind und von uns und anderen für die Forschung genutzt werden können. Diese Informationen sind jedoch - hauptsächlich - in kategorischen und numerischen Indikatoren erfasst. Wir haben die Country Brief Series ins Leben gerufen, um diese Datensätze mit detaillierteren Beschreibungen in einem erzählenden Format und mit Informationen, die Länderexpert*innen oder Teammitglieder zusammengetragen haben, zu ergänzen. Wir hielten es für schade, wenn dieses umfassende Wissen über die Anfänge und die Entwicklung der Gesundheits- und Pflegesysteme nicht erfasst und veröffentlicht würde. Für die Zukunft ist geplant, dass die Country Briefs auch in WeSIS als zusätzliche länderbezogene Ressource gespeichert werden.

Welchen besonderen Nutzen hat die Serie im Vergleich zu bestehenden sozialpolitischen Länderprofilen?

Johanna Fischer: Die CRC 1342 Social Policy Country Briefs haben mehrere Vorteile, die von anderen Publikationsreihen nicht vollständig abgedeckt werden. Einer davon ist der explizite historische Fokus - im Einklang mit der Forschungsagenda des SFB - auf die anfängliche Einführung und die weitere chronologische Entwicklung der Sozialschutzsysteme. Andere Veröffentlichungen konzentrieren sich viel mehr darauf, eine Momentaufnahme der derzeit bestehenden Systeme zu liefern. Wir sind jedoch der Meinung, dass es wichtig ist, die aktuellen Entwicklungen mit einem gründlichen Verständnis ihrer historischen Entwicklung zu kontextualisieren, um zu verstehen, warum sie so aussehen, wie sie heute aussehen, und auch um Länder in verschiedenen Entwicklungsstadien zu vergleichen.

Gabriela de Carvalho: Wir betonen auch die Rolle des Staates in den Gesundheits- und Langzeitpflegesystemen und die unterschiedliche Art und Weise, wie dieser Akteur die Verantwortung für Gesundheit und Altenpflege übernommen hat. Obwohl wir planen, Kurzberichte über alle Länder der Welt zu veröffentlichen, konzentrieren wir uns besonders auf wenig erforschte Fälle aus dem Globalen Süden. Beispiele hierfür sind die Berichte über die Gesundheitssysteme von Äquatorialguinea und Mosambik, die derzeit geprüft werden.

Gabriela, du hast die erste Ausgabe der Serie geschrieben – was ist bei einem solchen Bericht die größte Herausforderung?

Gabriela de Carvalho: Die größte Herausforderung beim Verfassen eines solchen Berichts ist, so würde ich sagen, die "Neuartigkeit" des Inhalts. Da wir hier im SFB ein ausdrückliches Interesse an historischen Entwicklungen und der Rolle des Staates in der Sozialpolitik haben, beleuchten unsere Länderberichte diese Themen, was sich von bestehenden Beschreibungen der Sozialpolitik unterscheidet. Daher ist vor der Erstellung des Berichts eine historische Analyse und Reflexion der einzelnen Fälle erforderlich.

Es gibt auch konzeptionelle Herausforderungen: Zum Beispiel haben Expert*innen unterschiedliche Methoden, um zu messen und zu operationalisieren, was ein System ist und wann ein System beginnt. Dies erfordert einen offenen und ständigen Dialog zwischen den Herausgeber*innen der Reihe (Mitglieder des A04-Teilprojekts) und den Autor*innen.

Außerdem ist die Datenverfügbarkeit von Land zu Land sehr unterschiedlich. Die Autor*innen müssen die bereitgestellte Vorlage oft leicht anpassen, um Fragen der Datenverfügbarkeit und -zuverlässigkeit Rechnung zu tragen.

Wie wählt ihr die Themen der Ausgaben (Politikfeld und Land) aus?

Johanna Fischer: Derzeit arbeiten wir an den beiden Politikbereichen, die von unserem Projekt abgedeckt werden, d. h. Gesundheit und Langzeitpflege. Was die Länder betrifft, so haben wir vor allem mit den Ländern begonnen, bei denen wir bereits Kontakt zu potenziellen Autor*innen hatten, z. B. weil sie bereits an unseren Expertenbefragungen teilgenommen hatten. Außerdem haben wir versucht, eine Vielzahl von Ländern in verschiedenen Regionen zu berücksichtigen. Unser Ziel ist es ausdrücklich, Fälle außerhalb der häufig analysierten Standardstichproben aus dem Norden und Westen abzudecken, auch wenn wir natürlich gerne auch Berichte über die bekannteren Fälle aufnehmen. Im Bereich der Langzeitpflege beispielsweise haben sich viele Berichte bisher auf die langjährigen Mitglieder der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung oder der Europäischen Union konzentriert. Wir freuen uns daher, dass wir diese Stichprobe bereits erweitern konnten, zum Beispiel mit den Country Briefs über Uruguay, Costa Rica, Taiwan, Singapur, die Ukraine und Serbien.

Gabriela de Carvalho: Im Falle des Gesundheitswesens sind Berichte über Länder wie Jamaika, Mosambik, Albanien und Mexiko bereits veröffentlicht worden oder werden derzeit überarbeitet.

Werden in Zukunft auch andere Politikfelder in der Serie berücksichtigt werden?

Johanna Fischer: Wir sind offen für eine Ausweitung der Reihe auf andere Politikbereiche. Daher möchten wir in Zukunft enger mit anderen Projekten des SFB zusammenarbeiten, um dies zu ermöglichen.


Kontakt:
Dr. Gabriela de Carvalho
Dr. Johanna Fischer
SFB 1342: Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 3
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-57074
E-Mail: johanna.fischer@uni-bremen.de