Teilprojekt B08 (2018-2021)

Transformation von Gesundheitssystemen in Mittel- und Osteuropa

Im Teilprojekt B08 wird die Transformation der Gesundheitssysteme in mittel- und osteuropäischen Ländern (MOELn) nach Ende der kommunistischen Herrschaft beschrieben und durch das Zusammenwirken nationaler Reformfaktoren und den Einfluss vertikaler und horizontaler Verflechtungen erklärt. Damit wird eine historisch einmalige Gelegenheit genutzt, Systemtransformationen zu erforschen. In den vergangenen drei Jahrzehnten haben die MOEL ihre Gesundheitssysteme nämlich in den Dimensionen Finanzierung und Leistungserbringung grundlegend reformiert: Auf der Finanzierungsseite ist in fast allen MOELn eine beitragsfinanzierte Pflichtversicherung nach Bismarckschem Vorbild eingeführt worden. In der Leistungserbringung wurde in einem Großteil der betrachteten MOEL ein leistungsfähiges Primärversorgungsmodell geschaffen und "dehospitalisiert". Während wir auf der Systemebene tendenziell eine Konvergenz zwischen den MOELn erwarten, sind auf Ebene gesundheitspolitischer Instrumente auch divergente Entwicklungen erkennbar.

Ziel des TPs ist es zu erforschen, über welche - durch die jeweiligen nationalen Konstellationen geprägten - Adaptionsprozesse der Einfluss internationaler Verflechtungen in Form von Ideen und Rechtsnormen diese Entwicklungen geprägt hat. Untersucht werden (1.) vertikale Verflechtungen zwischen der EU und den für die Gesundheitspolitik in den MOELn relevanten Internationalen Organisationen (IOen) auf der einen und den MOELn auf der anderen Seite, (2.) horizontale (transregionale) Verflechtungen zwischen westlichen Staaten und den MOELn sowie in ersten Ansätzen (3.) horizontale (intraregionale) Verflechtungen der MOEL untereinander. Mit Blick auf die vertikalen Verflechtungen untersuchen wir die Diffusions- und Lernbeziehungen sowohl von den IOen/der EU ausgehend ("top down") als auch in der umgekehrten Richtung ("bottom up"), indem wir erfassen, ob und wie Ideen und Reformerfahrungen der MOEL ihrerseits die ideenbezogenen und diskursiven Prozesse innerhalb der EU und der IOen beeinflussten. Der Untersuchungszeitraum reicht von 1989 bis heute.

Dieses Zielbündel wird in vier Schritten erreicht: Mit Blick auf vertikale Verflechtungen untersuchen wir in einem ersten Schritt systematisch und regionsbezogen die (top down) Dissemination von Ideen und Rechtsnormen durch die EU und ausgewählte IOen (Weltgesundheitsorganisation, Weltbank/Internationaler Währungsfonds, OECD) in ihrem Inhalt, ihrem Ausmaß, ihrer Kohärenz sowie auf ihre Veränderungen über die Zeit hinweg. Hierzu führen wir in erster Linie eine Inhaltsanalyse von Dokumenten, Websites und Gesetzestexten durch. In einem zweiten Schritt werden die internationalen vertikalen und horizontalen Verflechtungen im Zusammenspiel mit den spezifischen nationalen Konstellationen anhand einer Untersuchung der Adaptionsprozesse in den MOEL selber betrachtet. Da dies nur in vertiefenden Fallstudien möglich ist, werden vier Länder ausgewählt (Albanien, Kroatien, Lettland und Polen), die repräsentativ für vier Cluster stehen, in die sich die MOEL gruppieren lassen. In den vier Fallstudien wird der Wandel der Gesundheitssysteme durch ein detailliertes "process tracing" rekonstruiert. In einem dritten Schritt erweitern wir die Erforschung der vertikalen Verflechtungen um die Bottom-up-Perspektive. Hier betrachten wir, ob und - wenn ja - wie die IOen und die EU Ideen zur Reform der Gesundheitssysteme von den Fallstudienländern übernommen haben. In einem vierten Schritt wird überprüft, inwieweit die betrachteten Fälle Rückschlüsse auf die jeweiligen Cluster zulassen. In einem synoptischen Vergleich zu horizontalen und vertikalen Verflechtungen in der Gesundheitspolitik der MOEL entwickeln wir einen ersten Erklärungsansatz, um so eine zentrale Forschungslücke zu schließen.