Gemeinsam untersuchten Andreas Heinrich und vier weitere Autor*innen die Rolle von Empfängerländern im transnationalen gesundheitspolitischen Wissenstransfer. Ihr Ergebnis ist in der aktuellen Ausgabe von Communist and Post-Communist Studies erschienen.

Die Teilprojekte B05 (China) und B06 (post-sowjetische Region) untersuchen jeweils die Reform staatlicher Sozialpolitik und welche Rolle dabei internationale Einflüsse spielen. Da es bei ihrer Forschung viele Berührungspunkte gibt, kooperieren beide Teilprojekte häufig miteinander. Das jüngste Zeugnis der teilprojektübergreifenden Arbeit ist das Paper "The Agency of Recipient Countries in Transnational Policy-Related Knowledge Transfer: From Conditionality to Elaborated Autonomous Policy Learning", das Andreas Heinrich, Gulnaz Isabekova, Heiko Pleines (alle TP B06) sowie Armin Müller und Tobias ten Brink (beide TP B05) in Communist and Post-Communist Studies veröffentlicht haben.

Die Literatur zu transnationalem Wissenstransfer konzentriert sich meist auf Fälle, in denen die Quelle des Wissens und die Initiative für dessen Transfer in der OECD liegen. Heinrich, Isabekova, Müller, Pleines und ten Brink hingegen betrachten in ihrem Paper Fälle, in denen Nicht-OECD-Länder proaktiv im Ausland nach Politikberatung gesucht haben und die entsprechenden Ideen und Konzepte auf der Grundlage ihrer eigenen Anforderungen bewertet haben.

Ausgehend von der Rolle der Konditionalität und der Einstellung des Empfängerlandes zur Zusammenarbeit mit ausländischen Beratungsquellen unterschiedet das Autor*innenteam fünf nachfrageseitige Strategien im transnationalen politikbezogenen Wissenstransfer, die jeweils am Beispiel der Gesundheitsreform analysiert werden. Die Ergebnisse verdeutlichen systematische Unterschiede in der Einstellung zu und der Nutzung von ausländischer Beratung.

Nachfolgend ein kurzer Überblick über die Fallbeispiele, die in dem Paper ausführlicher analysiert und diskutiert werden.

UKRAINE: Conditionality-Based International Knowledge Transfer

Die Ukraine ist ein Beispiel für den Standardfall kreditbasierter Konditionalität. Angesichts drohender Zahlungsunfähigkeit war die die Regierung den Ratschlägen internationaler Organisationen aufgeschlossen. Da auch ukrainische Politikberater*innen die vom IWF unterstützten Reformen weitgehend befürworteten, förderte diese Kombination von aus- und inländischem Druck die Fortführung der Reformen gegen den Widerstand von Interessengruppen.

KYRGYZSTAN: Coordinated International Knowledge Transfer

Das Beispiel Kirgisistan entspricht dem Idealtyp einer koordinationsbasierten Strategie. Das Empfängerland hat mehr Spielraum, weil durch die größere Zahl ausländischer Partner Runde Tische und Konsensfindung zum Standard werden, ebenso die Führung durch das Empfängerland und verwandte Stakeholder. Dadurch bietet sich der Regierung die Möglichkeit, aus verschiedenen Quellen zu lernen. Gleichzeitig schränkt eine hohe Fluktuation von Politikern und Verwaltungsmitarbeitern sowohl die Fähigkeit zur politischen Analyse als auch den Aufbau eines institutionellen Gedächtnisses ein.

RUSSIA: Sceptical Cooperation and Emphasis on Domestic Expertise

Seit Putin Präsident wurde, ist Russland bemüht, unabhängig von internationaler Hilfe und Einfluss zu werden. Dies gilt auch für die Sozialpolitik, bei deren Reform internationale Beratung zur Gunsten nationaler Expertise zurückgedrängt wurde. Die Arbeitsbeziehungen zu internationalen Organisationen werden jedoch fortgesetzt, und inländische Experten sind weiterhin offen für politische Beratung aus dem Ausland.

KAZAKHSTAN: Sovereign International Advice-Seeking

Das Hauptziel Kasachstans besteht darin, das Land als gleichberechtigten und geschätzten Akteur auf der internationalen Bühne zu etablieren. Dies führt zu einer offiziellen Offenheit gegenüber den internationalen Organisationen, und zu Versuchen, das inländische Fachwissen zu verbessern. Gleichzeitig begrenzt das autoritäre Regime die Vielfalt im nationalen Politikberatungssystem und schränkt die internationale Beratung entsprechend ein.

CHINA: Elaborated Autonomous International Policy Learning

China hat eine Lernstrategie verfolgt, bei der bürokratische Akteure ausländische Ideen testeten, die sie als vereinbar mit ihren eigenen Interessen ansahen. Bei der Suche nach geeignetem Fachwissen profitierten die Akteure von ihrer langfristigen Zusammenarbeit mit internationalen Experten. Chinas Strategie ist "elaboriert", da theoretische Beratung eingeholt wird, um sie in lokalen Experimenten zu testen, um so fundierte politische Entscheidungen zu treffen; die Strategie ist "autonom", da die Innenpolitik eindeutig Vorrang vor internationalen Verpflichtungen hat.


Kontakt:
Dr. Andreas Heinrich
SFB 1342: Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik
Klagenfurter Straße 8
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E-Mail: heinrich@uni-bremen.de