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Teresa Huhle und Johanna Kuhlmann berichten im Interview von einem 6-tägigen Seminar zu Sozialpolitik im Globalen Süden, das sie während der Frühjahrsakademie der Studienstiftung des deutschen Volkes geleitet haben.

Die SFB-Mitglieder Teresa Huhle und Johanna Kuhlmann haben vom 20. bis 25. März 2021 eine Arbeitsgruppe der Frühjahrsakademie der Studienstiftung des deutschen Volkes geleitet. An dem sechstägigen Seminar zum Thema „Sozialpolitik im Globalen Süden – Ein interdisziplinärer Perspektivwechsel“ haben 13 Studierende aus unterschiedlichen Disziplinen teilgenommen. Im Interview erzählen Huhle und Kuhlmann, wie die Akademie gelaufen ist.

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Wer war zu der Akademie zugelassen?

Johanna Kuhlmann: An der Akademie konnten Stipendiat*innen der Studienstiftung teilnehmen, die eher am Beginn ihres Studiums sind. Wir hatten 13 Studierende vom ersten bis zum sechsten Semester.

Teresa Huhle: Der Zugang war auf keine Disziplin beschränkt. So hatten wir dann einen bunten Mix: ungefähr die Hälfte kam aus den Sozialwissenschaften, dazu kam eine Historikerin. Die anderen studieren Jura, VWL, Medizin, Physik und Philosophie.

Wie war euer Seminar konzipiert?

Huhle: Wir hatten fünf inhaltliche Arbeitstage – nach einem Einführungstag stand jeder Tag unter einem thematischen Schwerpunkt: koloniale Sozialpolitik, Internationale Organisationen, Entwicklungspolitik als Sozialpolitik und schließlich Propaganda und Verhaltenspolitik. Tag sechs war einem Rückblick und der Vorbereitung einer Präsentation für den gemeinsamen Abschlussabend der Akademie gewidmet. Zur Vorbereitung hatten die Teilnehmer*innen pro Tag zwei bis drei Texte zu lesen. Aber die einzelnen Tage haben wir dann variabel gestaltet und die Themen in sehr unterschiedlichen Formaten bearbeitet.

Kuhlmann: Gerade auch mit Blick auf das digitale Format wollten wir die Teilnehmer*innen aktivieren. Das hat auch gut geklappt. Zwei Dinge als Beispiel: Wir haben eine Plenardebatte gemacht zu Sozialpolitik als Entwicklungspolitik, in der sich die Teilnehmer*innen in einer Art Rollenspiel in verschiedene Charaktere hineinversetzt haben. Ein anderes Mal haben wir eine sozialpolitische Maßnahme im Detail diskutiert: Welche Gründe und Argumente kann man für oder auch gegen die Einführung eines bestimmten Programms anführen und wovon hängt letztlich die Entscheidung ab.

Huhle: Am Tag zu Propaganda ging es in einem Text um Gesundheitsfilme, die 1943/1944 von Disney in den USA für Lateinamerika produziert worden waren. Einen der Filme konnten wir uns gemeinsam anschauen und haben ihn anschließend diskutiert. Bei den Formaten haben wir auf Abwechslung geachtet. Das hat gut funktioniert – die Studierenden waren alle sehr motiviert und hatten Lust, in Gruppen zu arbeiten und zu diskutieren.

Anhand welcher Kriterien hattet ihr die Texte ausgewählt, die als Grundlage für jeden Tag dienten?

Kuhlmann: Weil wir den historischen und politikwissenschaftlichen Zugang kombinieren wollten, mussten wir Texte finden, die zueinander sprechen – sei es, weil sie sich ergänzen oder auch widersprechen. Uns war auch die Zugänglichkeit der Texte wichtig. Wir hatten ja auch fachfremde Studierende im Seminar. Dass diese überfordert sein könnten, war aber eine unbegründete Sorge.

In dem Seminar ging es euch um einen Perspektivwechsel – bezog sich das auf die Perspektive Nord-Süd oder auf die fachliche Perspektive?

Huhle: Wir haben das bei der Ankündigung des Programms eher von den Fachdisziplinen her gedacht. Aber wir haben schnell gemerkt: Was die Studierenden angezogen hat, war nicht die sozialpolitische oder historische Perspektive, sondern die Kategorie "Globaler Süden". Alle hatten Interesse an Fragen von globaler Ungleichheit, kolonialen Strukturen und deren Fortwirken usw. Viele waren auch schon länger im Ausland, u. a. im Freiwilligendienst. Erfreulicherweise haben aber zum Abschluss einige gesagt, dass es für sie besonders interessant war, Einblicke in unsere geschichts- und politikwissenschaftliche Arbeitsweise zu bekommen.

Ihr hattet Teilnehmer*innen aus einer Reihe unterschiedlicher Fächer – die Spanne reichte von Physik über Philosophie bis Jura – konnten diese trotzdem miteinander, in einer "gemeinsamen Sprache" sprechen?

Kuhlmann: Ja, das hat erstaunlich gut geklappt. Wir haben meistens gar nicht gemerkt, wer welches Fach studiert.

Huhle: Der Physikstudent hat uns einmal darum gebeten, Fachbegriffe nicht einfach zu verwenden, ohne sie zu erklären. Sonst gab es keinen Moment, in dem die Fächerzugehörigkeit zur Sprache kam. Das lag sicher daran, dass alle sehr motiviert und interessiert waren. Aber vielleicht spielt auch eine Rolle, dass die Schulzeit der Teilnehmer*innen noch nicht lange zurückliegt. Sie kommen ja gerade erst aus einem System, in dem es völlig selbstverständlich ist, sich mit ganz unterschiedlichen Themen zu beschäftigen.

Was habt ihr als Seminarleiterinnen aus dem Kurs gelernt, was nehmt ihr mit?

Kuhlmann: Im Seminar haben Studierende aus ganz verschiedenen Fächern Gedanken aus ihren Perspektiven eingebracht. Das hat mich inhaltlich besonders angesprochen: Dadurch habe ich über Fragen nicht nur aus historischer oder politikwissenschaftlicher Perspektive nachgedacht, sondern zum Beispiel auch aus volkswirtschaftlicher oder juristischer.

Huhle: Das Seminar war sehr intensiv und hat für alle sehr viele Denkanstöße geliefert. Das würde ich sehr gern wieder machen. Und ganz pragmatisch: Es war eine tolle Übung für die Online-Lehre, wir konnten ganz verschiedene Dinge ausprobieren. Präsenz kann natürlich nicht ersetzen werden, aber es ist trotzdem gelungen, über die Woche ein Gruppengefühl herzustellen. Ich habe das Gefühl, ich habe im Laufe der Woche 13 Menschen tatsächlich kennengelernt. Und das finde ich sehr schön.


Kontakt:
Dr. Teresa Huhle
Dr. Johanna Kuhlmann
SFB 1342: Globale Entwicklungsdynamiken von Sozialpolitik
Mary-Somerville-Straße 7
28359 Bremen
Tel.: +49 421 218-58574
E-Mail: johanna.kuhlmann@uni-bremen.de

Dr. Teresa Huhle
Dr. Teresa Huhle
Teresa Huhle hat in Montevideos Bibliotheken und Archiven recherchiert, welche internationalen Einflüsse und Kontakte die Entwicklung der uruguayischen Gesundheitspolitik beeinflusst haben.

Teresa, du warst im Frühjahr für euer Teilprojekt unterwegs. Wo warst du genau?

Ich war für acht Wochen in Uruguay, genauer gesagt in der Hauptstadt Montevideo. Für meine Arbeit an der Uruguay-Fallstudie sind insgesamt vier Monate Archivarbeit vor Ort vorgesehen – diese Reise war also die erste Hälfte. Ich war aber vor zwei Jahren, bevor der SFB angefangen hatte, schon einmal dort und habe erste Erkundungen gemacht, deswegen konnte ich jetzt direkt loslegen.

Welche Archive hast du dir angeschaut?

Ich habe vor allem in der Nationalbibliothek gearbeitet. Dort gibt es auch Archivmaterial, aber ich habe in erster Linie mit alten Zeitschriften gearbeitet, die am vollständigsten in der Nationalbibliothek liegen. Es gibt dort auch Nachlässe, alte Karten, Fotos … Letztendlich habe ich aber die meiste Zeit mit Zeitschriften verbracht.

Sind das wissenschaftliche Zeitschriften?

Ja, wissenschaftliche bzw. staatliche Zeitschriften, die für meine Arbeit zur Entwicklung der Gesundheitsversorgung in Uruguay maßgeblich sind. 1932 wurde dort das Gesundheitsministerium gegründet, aber schon vorher gab es zwei wichtige staatliche Institutionen: Die Asistencia Pública Nacional und der Consejo Nacional de Higiene. Beide Institutionen hatten eine eigene Zeitschrift, die ich auswerte. Im Rahmen des SFBs untersuchen wir ja auch transnationale Einflüsse auf nationalstaatliche Sozialpolitik, und dazu findet sich viel in der Zeitschrift. Es geht hier zum Beispiel um Konferenzen und explorative Reisen hochrangiger Vertreter der genannten Institutionen.

Welche Zeitspanne schaust du dir an?

Ich habe mir bei diesem Aufenthalt vorgenommen, die kompletten Jahrgänge der Zeitschrift des Consejo Nacional de Higiene anzugucken, also 1906 bis 1931, um nachzuvollziehen, wie sich die Institution verändert hat.

Das sind 26 Jahrgänge. Wie umfangreich sind die?

Die Zeitschrift ist monatlich erschienen, insgesamt mit rund 800 bis 1.000 Seiten pro Jahr. Ich habe also schon ordentlich geblättert.

Konntest du alles sichten?

Am Anfang habe ich am ersten Band getestet, ob es machbar ist und es hat sich herausgestellt, dass ich tatsächlich die Zeitschrift komplett sichten konnte. Was interessant für mich war, habe ich fotografiert und Notizen dazu gemacht. Die Notizen wegzulassen, ist fatal, denn dann hat man am Ende ein paar tausend Fotos auf dem Rechner und weiß nicht, was das jeweils ist. Deswegen war ich relativ diszipliniert. Jeden fotografierten Text habe ich direkt bibliographiert und idealerweise drei Sätze dazu geschrieben.

Was hast du in den rund 300 Ausgaben der Zeitschrift gefunden?

Ich habe nach internationalen Einflüssen und verschiedenen inter- und transnationalen Netzwerken gesucht, in denen die Akteure und Institutionen eingebettet waren, als Reformen umgesetzt wurden. Daher habe ich zum Beispiel Ausschau gehalten nach allen internationalen Konferenzen mit uruguayischer Beteiligung. Das Material dazu war sehr unterschiedlich. Manchmal steht dort nur, dass jemand aus Uruguay dabei war und manchmal findet man lange Berichte, in denen der uruguayische Delegierte ganz genau die Panels zusammengefasst und geschrieben hat, was er auf der Konferenz gelernt hat.

Das sind also gewisse Inputfaktoren – kontrollierst du auch den Output? Also: Ob diese Einflüsse irgendwelche Konsequenzen hatten?

Das punktuell feststellen zu können, ist langfristig mein Ziel. Ich finde es augenblicklich noch sehr schwierig, zwischen Rhetorik und tatsächlichem Einfluss zu unterscheiden. Es gibt derzeit noch nicht viele Stellen, wo ich mich darauf festlegen würde zu sagen: "Diese Konferenz, diese Europareise oder dieser Besuch in Argentinien hat dafür gesorgt, dass Uruguay jenes Gesetz eingeführt hat." Das ist methodisch gar nicht so einfach, aber es wäre sicherlich der nächste Schritt.

Wie wertest du jetzt aus?

Derzeit stelle ich zusammen, welche Verbindungswege, Netzwerke und Austauschformen es überhaupt gab. Ich schaue mir auch an, wie die uruguayischen Reformer ihr Handeln selber reflektiert haben, wie zum Beispiel die Einschätzung: "Ich war in Holland, mir wurde Folgendes gezeigt, aber das ist nichts, was wir umsetzen können." Aber es findet sich auch das gegenteilige Urteil: "Ich glaube, genau das müssen wir jetzt auch umsetzen." Ob und wie sie das dann gemacht haben, ist noch eine andere Frage, aber es ist schön zu sehen, dass diese internationalen Austauschprozesse in den Quellen explizit thematisiert werden.

Welche Länder und internationalen Organisationen hatten denn den größten Einfluss auf die Gesundheitspolitik Uruguays?

Sehr wichtig waren internationale Kongresse, sowohl in Europa als auch in den Amerikas.

An Universitäten?

Nein, das waren zum Beispiel die "Internationalen Kongresse für Hygiene und Demographie". Die fanden seit Mitte des 19. Jahrhunderts in Europa statt mit jeweils mehreren hundert Teilnehmerinnen und Teilnehmern – es waren weltweit die wichtigsten Kongresse für alle Fragen der Hygiene und der öffentlichen Gesundheit. Wichtig waren auch andere internationale Medizinkongresse, die mit der öffentlichen Gesundheit zu tun hatten, wie Tuberkulosekongresse oder internationale Kongresse zu Geschlechtskrankheiten. In den 1920er Jahren wurde dann der Völkerbund relativ wichtig als internationales Forum, so organisierte die Gesundheitsorganisation des Völkerbundes internationale Austauschreisen. Was einzelne Länder betrifft, gab es beispielsweise einen sehr engen Austausch mit Argentinien.

War Argentinien ein Vorbild oder war Uruguay Partner auf Augenhöhe?

Geopolitisch war Uruguay der kleine Pufferstaat zwischen den zwei großen Mächten Argentinien und Brasilien. Aber im Austausch zu gesundheitspolitischen Reformen war Uruguay definitiv auf Augenhöhe.

Gab es noch andere Länder, die wichtig waren?

Ja, Brasilien, und in Europa spielt Frankreich eine besondere Rolle, weil es eine lange Tradition gab, dass uruguayische Mediziner ihre Ausbildung oder Teile davon in Frankreich absolviert haben.

Erstaunlich, dass es nicht Spanien war …

Frankreich war das große kulturelle Vorbild und Modell für die uruguayische Elite, und in der Medizin ganz besonders. Schon Mitte des 19. Jahrhunderts gehörte es dazu, dass uruguayische Mediziner – staatlich finanziert – nach Paris gingen. Diese Mediziner konnten alle Französisch, ebenso die Politiker. Es gibt auch medizinische Bücher, die nur auf Französisch erschienen sind. Das ist ganz bemerkenswert. Deswegen spielt Frankreich in diesem Gesundheitsbereich eine große Rolle.

Was waren noch wichtige Punkte deiner Reise?

Es gibt noch andere Bibliotheken, die für mich wichtig sind, die aber nicht gut katalogisiert sind. Man muss also wissen, was man dort finden kann und sich mit den Bibliothekaren absprechen. Um diese Informationen vorab zu bekommen, habe ich Kolleginnen und Kollegen vor Ort kontaktiert, vor allem auch aus der Medizingeschichte.

Wie geht es jetzt weiter mit deiner Arbeit und eurem gesamten Teilprojekt?

2019 sind alle Mitglieder des Teilprojektes inklusive der Leiterin des TPs Delia González de Reufels viel unterwegs und kommen mit viel Material aus Archiven und Bibliotheken sowie Ideen zurück. Außerdem haben wir ein neues Teammitglied: Simon Gerards Iglesias, der nun seinerseits zu Archivreisen aufbricht. Derzeit arbeite ich einen Vortrag aus und werde im August in den USA weiterrecherchieren. Im März 2020 fahre ich dann noch einmal nach Uruguay. In diesem Frühjahr hatte ich ja noch den Luxus zu wissen: Ich komme noch einmal wieder. Im nächsten Jahr wird es dann aber ernst: Ich muss mir vorher genau überlegen, was ich von dort noch brauche.


Kontakt:
Dr. Teresa Huhle
Dr. Teresa Huhle
Dr. Teresa Huhle
Teresa Huhle über ihre Spurensuche in Archiven, spannende Gespräche, die dort entstehen, und ihre Aufgaben im Teilprojekt B02.


Was wärest du geworden, wenn du nicht Wissenschaftlerin geworden wärest?

Als ich anfing, Regionalwissenschaften Lateinamerika in Köln zu studieren, hatte ich zwei Dinge vor Augen: entweder Journalismus oder Arbeit für internationalen Organisationen im Bereich Menschenrechte bzw. Entwicklungszusammenarbeit. Das waren aber keine konkreten Pläne, sondern nur vage Vorstellungen.

Warum bist du dann Historikerin geworden?

Von der ersten Hausarbeit an hat mir mein Studium großen Spaß gemacht, besonders das Fach Geschichte - ich hatte noch Politik und Spanisch als gleichwertige Fächer. Es waren dann vor allem zwei Phasen, in denen ich gemerkt habe, dass ich gerne geschichtswissenschaftlich arbeiten möchte: ein Praktikum in Nordspanien und später meine Diplomarbeit. Im Praktikum ging es um die Opfer des spanischen Bürgerkriegs. Einerseits habe ich Archivrecherche gemacht und dabei vor allem Sterberegister durchgeschaut; auf der anderen Seite habe ich Interviews mit Menschen geführt, die sich daran erinnern konnten, wo es anonyme Massengräber gibt. In diesem Praktikum konnte ich also historische Arbeitsweisen vor Ort kennenlernen. Später habe ich meine Diplomarbeit über die US-amerikanische Beteiligung am spanischen Bürgerkrieg geschrieben. Dafür war ich längere Zeit in San Francisco und New York, wo ich in einem Archiv zu Gewerkschaften und anderen linken Bewegungen in den USA gearbeitet habe. Das war eine tolle Erfahrung! Ab da war klar, dass ich diese Arbeit weitermachen möchte.

Was gefällt dir am Studium von Akten und anderen Dokumenten?

Ich mag die einsame Seite der Archivarbeit, das konzentrierte Lesen und Entdecken von Dokumenten. Gleichzeitig sind Archive auch Orte, an denen sich sehr viele Menschen aus unterschiedlichen Gegenden begegnen und an denen spannende Gespräche entstehen.

Dein Schwerpunkt als Historikerin ist Lateinamerika. Warum ausgerechnet diese Region?

Ich hatte schon vor dem Studium großes Interesse an Lateinamerika und versprach mir von dem Studium viele Gelegenheiten, dorthin zu reisen. Nach den Ausflügen in die spanische und US-amerikanische Geschichte wollte ich für die Doktorarbeit dann gerne zu Lateinamerika arbeiten. In Bremen hatte ich die Chance zur Geschichte Kolumbiens zu promovieren und dabei auch Verbindungen in die USA zu betrachten. Bei meinen Forschungsreisen nach Kolumbien fand ich vor allem den Austausch mit den dortigen Kolleginnen und Kollegen sehr inspirierend. Die Wissenschaftskultur ist eine andere, die Universitäten sind politisierter, als ich es aus Deutschland kannte.

Was ist nun deine Aufgabe im SFB?

Ich arbeite in einem Teilprojekt, in dem wir die Genese staatlicher Sozialpolitik in den Ländern Uruguay, Argentinien und Chile untersuchen. Das Projekt hat vier Arbeitspakete, von denen ich eines übernehme: das zu Uruguay. Ich schaue mir die frühe staatliche Sozialpolitik von Uruguay an, vom späten 19. Jahrhundert bis in die 1930er-Jahre. Ich frage vor allem danach, wie, warum und mit welchen Effekten der Staat sich in den Bereichen Gesundheit und Arbeit eingesetzt hat - und welchen anderen Organisationen er diese Aufgaben abgenommen hat: konkret der Kirche und der Philanthropie.
Außerdem arbeite ich an einem zweiten Arbeitspaket mit, in dem untersucht wird, welche Rolle die Internationale Arbeitsorganisation ILO in der Ausbildung der Sozialpolitik der drei Länder gespielt hat.

Wie wirst du bei deiner Forschungsarbeit vorgehen?

Bei dieser Epoche kann ich keine Zeitzeugen mehr befragen, daher steht für mich als Historikerin die Archivarbeit im Vordergrund. Wir untersuchen die transnationalen Faktoren, gehen also z. B. der Frage nach: Mit wem standen uruguayische Medizinerinnen und Mediziner in Kontakt in anderen Ländern und internationalen Organisationen? Das bedeutet für mich eine sehr internationale Archivarbeit. Ich werde nach Uruguay fahren, aber auch in europäische Archive, das ILO-Archiv in Genf und auch in die USA. Am Anfang geht es darum zu identifizieren, wer die zentralen Akteurinnen und Akteure waren, mit wem sie in Kontakt standen und wie der Wissensaustausch stattfand. Teilweise gibt es dazu Anhaltspunkte, teilweise ist das aber vollständig offen. Ich muss mich von meinen Archivreisen überraschen lassen.

Wann rechnest du mit ersten Ergebnissen?

Ich werde dieses Jahr ausgiebige Forschungsreisen machen. Publizierbare Ergebnisse werde ich daher wahrscheinlich erst im kommenden Jahr haben. Aber von jeder Reise hoffe ich, Ergebnisse auf Vortragsebene mitbringen zu können.

Zur Person:
Teresa Huhle ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Geschichtswissenschaft der Universität Bremen. Im Teilprojekt B02, das von Delia González de Reufels geleitet wird, untersucht Huhle die Entwicklung der frühen staatlichen Sozialpolitik in Uruguay. 2015 promivierte Teresa Huhle an der Universität Bremen zu Thema "Bevölkerung, Fertilität und Familienplanung in Kolumbien zur Zeit des Kalten Krieges: Eine transnationale Wissensgeschichte". Zuvor hatte Huhle hat an der Universität Köln Regionalwissenschaften Lateinamerika studiert mit den Fächern Iberische- und Lateinamerikanische Geschichte, Anglo-Amerikanische Geschichte, Politikwissenschaft und Spanisch.


Kontakt:
Dr. Teresa Huhle